Nochmal mit einem braunen Auge davon gekommen - Hannover nach dem 1. Mai

  • Veröffentlicht am: 4. Mai 2009 - 0:03

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Linden-Limmer zeigt Flagge | Foto: Jörg Rutzen

"Nie zuvor … hatten so viele so wenigen so viel zu verdanken." [Winston Churchill]

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Die Erleichterung ist groß, dass Hannover nicht zum Exerzierplatz brauner Horden geworden ist. Aber es gibt keinen Lorbeer, auf dem man sich ausruhen könnte. Im Gegenteil - Hannover ist weit hinter seinen Möglichkeiten zurück geblieben.

Zweischneidig

Das Verbot des Naziaufmarsches ist ein Pyrrhussieg: Mit der u.a. zu Grunde gelegten Argumentation - Gewaltpotential der Gegendemonstranten - lassen sich missliebige Demonstrationen aller Art verbieten. Damit wurde ein Damoklesschwert aufgehängt, das auch schnell auf demokratisch legitimierte Proteste zurück fallen kann. Besser - und deutlicher - wäre ein Demonstrationsverbot gewesen, dass sich auf eine Gefahrenprognose stützt, die das Gewaltpotential der Rechtsradikalen zum Inhalt hat. Wie berechtigt diese Prognose ist, zeigen u. a. die rechtsradikalen Gewaltexzesse in Dortmund.

Demokratie illegal?

Wie schnell die Argumentation des Verbotes in eine antidemokratische Richtung drehen kann, belegt die versuchte Kriminalisierung des Umzingelungsbündnisses in Hannover. Dabei beweisen doch gerade die Blockaden von Köln im letzten September, oder die Blockade von Mainz an diesem 1. Mai, wir richtig und erfolgreich diese Aktionen sind. Blockaden zeigen den braun Verblendeten spürbar und unausweichlich, wie isoliert sie in ihrem Irrglauben sind. Sie nehmen den Rechten auch die Propaganda, sich als Opfer der Justiz zu gebärden.

Demokratie verlangt Mehrheiten

Wirklich erschreckend aber ist, auf wie wenigen Schultern in Wirklichkeit der Widerstand gegen die rechte Provokation lastet. Dabei soll jetzt nicht darüber gestritten werden, ob eine Beteiligung von nicht mal 2,5 % der Hannoveraner BürgerInnen ein deutliches Zeichen gegen Rechts ist. Wer das als großen Erfolg feiert, der hat seine Ansprüche an die Demokratie auf ein Minimum reduziert.

Demokratie gibt es nicht geschenkt

Warum ist es vielen Menschen nicht der Mühe wert, sich gegen Rechts zu engagieren? Was hindert so viele, sich für die Demokratie einzusetzen? Manchmal ist Angst das Argument, häufiger jedoch ist Zeitmangel der Vorwand. Beides ist erschreckend. Hinzu kommen jene, die die Gefahr von Rechts verniedlichen oder relativieren, Gewalt von Rechts mit Gewalt von Links entschuldigen. Gerade in manchen Leserbriefen tun sich zuweilen Abgründe auf. Verharmlosen, relativieren, aufrechnen - die Rechtfertigungs-Rhetorik für die Verbrechen von '33-'45 feiert fröhlich Urständ.

Der nächste 1. Mai kommt bestimmt

Nicht nur der latente Rechtsextremismus, vor allem Desinteresse und Gleichgültigkeit gegenüber der Demokratie sind gefährlich. Es genügt nicht mehr, immer wieder über alte und neue Verbrechen der Nazis aufzuklären - so richtig und wichtig das auch ist. Vielmehr müssen wir uns bewusst machen, was auf dem Spiel steht: Demokratie und Rechtsstaat. So gesehen war ein Fest der Demokratie ein Schritt in die richtige Richtung. Deutlicher und wirksamer allerdings wäre ein Beweis der Zivilcourage gewesen, wie ihn Karl-Willi Beck, Bürgermeister von Wunsiedel (Grabstelle Rudolf Heß) gezeigt hat: Mit einer Sitzblockade hat sich Beck 2004 in vorderster Reihe dem Aufmarsch der Neonazis entgegengestellt. Zusammen mit Ratskollegen und Spitzen der Zivilgesellschaft gegen eine rechtsextreme Überzahl. Mit diesem entschlossenen Signal - und den Initiativen, die daraus folgten - hat Beck gewiss mehr in Bewegung gesetzt, als ein Fest der Demokratie mit Bier und Bratwurst.

Demokratie lebt vom Vorbild

Nur wer Demokratie und Rechtsstaat zu schätzen weiß, ist vor den demagogischen Verführungskünsten Rechtsextremer gefeit. Nur wer den Wert von Demokratie und Rechtsstaat kennt, und mit welchen Opfern sie errungen wurden, nur der ist auch bereit, aktiv dafür zu kämpfen. Damit ist die Diagnose gestellt: "Wir wollen mehr Demokratie wagen." war das Motto des letzten großen Sozialdemokraten, Willy Brandt. Damit hat er die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland zu einer Aufgabe für unsere Zivilgesellschaft gemacht. Übertragen auf die Situation heute heißt das: Wir müssen wieder mehr Demokratie lernen.